Wie weiter mit der Wachstumsfrage?
Seitenanzahl: 88
Preis:
9,90 €
Nach dem großen Erfolg von „Abschied vom Wachstumszwang“ geht der Autor in seinem neuen Band differenziert auf die Argumente seiner Kritiker ein. Denn der Schlüssel für eine nachhaltige Gesellschaft liegt weniger in technischen Innovationen als in einem Kulturwandel. Mit seinem Essay „Abschied vom Wachstumszwang“ hat Reinhard Loske Ende 2010 ein „fundamentales Pamphlet“ (Rupert Neudeck) vorgelegt, das eine lebendige und hochkontroverse Debatte ausgelöst hat.
In seinem hier vorgelegten Band „Wie weiter mit der Wachstumsfrage?“ geht Loske nun differenziert auf die Argumente seiner Kritiker ein. Seine These: Der Schlüssel für eine nachhaltige Gesellschaft liegt nicht so sehr in technischen Innovationen, obwohl auch die gebraucht werden, sondern in sozialen Innovationen und einem Kulturwandel, der auf Gemeinsinn, Gemeinschaftsgüter, sozial eingebettete Märkte und neue Formen der Tätigkeit setzt. Konzepten, die Nachhaltigkeit auf „grünes Wachstum“ reduzieren wollen, erteilt Loske eine gut begründete Absage.
Rezension
[…] Mal ehrlich: Darf man glauben, dass unsere große Wohlstands- und Wachstumsshow nach der Finanz- und Eurokrise genau so weitergeht wie vorher? Kanzlerin Angela Merkel sagt „ja“. Linke und linksliberale Ökonomen wie Heiner Flassbeck, Paul Krugman, Joseph Stiglitz, selbst Investoren wie George Soros sagen auch „ja“ – mit dem wichtigen Zusatz: „Wenn Merkel das Richtige tätige“. Darunter verstehen sie unter anderem, die öffentliche Verschuldung zu erhöhen, um mit dem Geld das Wachstum am Laufen zu halten. Und dank Wachstum kann man dann irgendwann die Schulden wieder verringern. Das mag man glauben. Oder auch nicht. […]
„In Anlehnung an Karl Marx könnte man vom tendenziellen Fall der Wachstumsrate sprechen“, sagt Reinhard Loske, im hellen Hemd, mit Sonnenbrille vor dem Café Kapelle am Zionskirchplatz in Berlin sitzend. Loske macht Pause von der Politik – jedenfalls mehr oder weniger. Von 1998 bis 2007 saß er für die Grünen im Bundestag und war dort einer der wenigen einflussreichen Umweltpolitiker. Dann wechselte er nach Bremen, wo er bis vergangenes Jahr als Umweltsenator der rot-grünen Landesregierung amtierte. Jetzt arbeitet er als selbstständiger Berater und Nachdenker unter anderem im Auftrag der staatlichen deutschen Entwicklungsorganisation GIZ und der genossenschaftlichen GLS-Bank. Außerdem ist er Publizist, der nicht mehr an das Perpetuum Mobile des Wirtschaftswachstums glaubt.
Im Herzen schmerzt Loske, Jahrgang 1959, die Zerstörung der natürlichen Umwelt durch den globalen industriellen Raubbau, was sich am augenfälligsten im menschenverursachten Klimawandel niederschlägt. Aber es geht ihm um mehr. Ihn treibt ein tiefes Unbehagen an den menschlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Kosten des ewigen quantitativen Mehr. 2010 erschien sein Essay „Abschied vom Wachstumszwang – Konturen einer Politik der Mäßigung“. Seinen Kritikern antwortet er nun mit dem 88-Seiten-Bändchen „Wie weiter mit der Wachstumsfrage?“. Alleine das ist schon mal angenehm. Loske ignoriert die Gegenargumente nicht oder bügelt sie ab. Er nimmt sie ernst, wenngleich ihm natürlich immer ein passendes Widerwort einfällt. Trotzdem bringt dieses Verfahren den Diskurs über eine existenzielle Frage voran. Das Buch ist wohltuend offen und unideologisch. […]
Aber wäre es nicht möglich, Ökologie und Ökonomie zu versöhnen, indem immer mehr sparsame Technik eingesetzt wird? Dieses „technikoptimistische Gegenargument“ weist Loske ebenso zurück. Sein Punkt: Der ökologische Effizienzgewinn wird durch Mengenwachstum überkompensiert. Mehr sparsame Autos verbrauchen mehr Benzin als wenige Spritschlucker. Die Fachleute nennen das den „Reboundeffekt“. Loskes politische Konsequenz lautet nun, dass weder die nachhaltige Industriepolitik der SPD, noch der Green New Deal, das Wirtschaftsprogramm der Grünen, Wachstum und Umweltschutz in Einklang bringen können. Zur Position seiner Partei und besonders der von Ralf Fücks, dem Chef der grünen Heinrich-Böll-Stiftung, merkt Loske an, die Strategie des so genannten nachhaltigen Wachstums sei partiell blind gegenüber ihren eigenen Folgen. Es bestehe die Gefahr, nur diejenigen Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen, die Wachstum förderten, nicht aber solche, durch die industrielle Aktivitäten eigentlich eingeschränkt werden müssten. […]
Der Essayist bewegt sich im breiter werdenden Fluss der Wachstumskritik, die mit der Finanzkrise ab 2007 einen neuen Schub erhalten hat. Seitdem sind Dutzende Bücher zum Thema erschienen – von Konservativen, Linken ebenso wie von Unternehmern und Wissenschaftlern. Ihr gemeinsamer Nenner ist die These, dass der permanente Versuch materieller Wohlstandsmehrung nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial zunehmend destruktive Züge trage. Im Rahmen dieser Debatte bieten Loskes Überlegungen einen mindestens zweifachen Mehrwert. Zum einen wählt der Autor die Perspektive der Transformation. Er sieht die industriellen Gesellschaften in einer Übergangsphase, in der sie Fortschritt, Wohlstand und Glück anders zu definieren beginnen als früher. Diese Konzeption schafft zweitens Raum für innovative politische Handlungsoptionen.
Loske plädiert dafür, Wachstumstreiber zu identifizieren und darauf zu drängen, ihre Wirkung zu verringern. Er regt an, punktuell neue Verfahren einzuüben, ohne gleich alles über den Haufen zu werfen. Dabei kommt es ihm auch auf technische, besonders jedoch auf soziale und politische Innovationen an. Loske setzt sich dafür ein, bürgerschaftliche Aktivitäten zu unterstützen, die Arbeit, Produktion und Konsum dem Markt entziehen oder mindestens die ressourcenverschlingende marktwirtschaftliche Dynamik hemmen. […]
Aber er ist so ehrlich, Subsistenz, Suffizienz und Entschleunigung nicht hochzujubeln, sondern auch ihre schwierige Seite zu benennen – den Verzicht. Wer weniger im formellen Sektor arbeitet und mehr selbst macht, kauft nicht. Eine Gesellschaft, die weniger Autos produziert, hat möglicherweise ein geringeres zusätzliches Sozialprodukt zu verteilen. Weniger Wachstum, Stagnation oder gar Schrumpfen würde bedeuten, dass wir alle unsere materiellen Ansprüche nicht aus einem Mehr, sondern aus einem Weniger bestreiten müssten. Verzicht ist das Eine. Das zweite Problem ist aber mindestens ebenso relevant. Schon unter den Bedingungen von gesamtwirtschaftlichem Zuwachs ist es extrem kompliziert, gefühlte Gerechtigkeit innerhalb einer zeitgenössischen Bevölkerung herzustellen. Wie soll das erst funktionieren, wenn das BIP sinkt? Werden sich dann die Unternehmen mit 1,5 Prozent Gewinnmarge zufriedengeben statt sechs, zehn oder 20 Prozent? Kaum vorstellbar. Was Reinhard Loske hört, ist sehr leise Zukunftsmusik. Wahrscheinlich ist es aber gut, sich mit Rhythmus und Tonlage schon mal zu beschäftigten. Diese Weisen werden in den kommenden Jahrzehnten lauter werden. (Hannes Koch, Die-Korrespondenten.de)